Grubenunglück von Bergkamen
„Hast du schon gehört, auf Kuckuck hat’s geknallt“
Vor 70 Jahren explodierte in Bergkamen die Schachtanlage
Grimberg III/IV - bis heute ist es das schlimmste Grubenunglück in
Deutschland.
19.02.2016
Ernst Neugebauer war am 20. Februar 1946 mit dem Fahrrad unterwegs, als
er einen gewaltigen Knall hörte. „Ich dachte, der Blitz hat jetzt ganz
in der Nähe eingeschlagen.“ Der neun Jahre alte Junge sah auf seine Uhr:
fünf nach zwölf. „Schnell radelte ich durch den Schneeregen nach
Hause.“ Als er dort ankam, rief eine Nachbarin seiner Mutter gerade zu:
„Hast du schon gehört, auf Kuckuck hat’s geknallt.“
Klara Neugebauer wusste sofort: Es war etwas Schlimmes passiert. „Sie
bekam einen Herzanfall“, erinnert sich Ernst Neugebauer. Im Volksmund
hieß die Schachtanlage Grimberg III/IV des Bergwerks Haus Aden/Monopol
in Bergkamen-Weddinghofen immer nur „Kuckuck“. Am Morgen des 20. Februar
1946 war auch Klara Neugebauers Ehemann Paul in den Schacht
eingefahren. Keine zwei Stunden hätte seine Schicht noch gedauert. Doch
um kurz nach zwölf Uhr kam es viele hundert Meter unter der Erde, wohl
im Gebiet der zweiten, der 930-Meter-Sohle, zu einer verheerenden
Explosion, die durch Schacht III „bis zum Tage herausschlug und dort den
größten Teil der Schachthallen zerstörte“, wie es in einem Bericht von
damals heißt. So gewaltig war die Wucht der Explosion, dass der
Seilfahrtkorb in den Turm jagte und auf ein Drittel seiner
ursprünglichen Größe zusammengestaucht wurde. Eine 300 Meter hohe
Stichflamme schoss aus dem Schacht empor.
Ein Wintergewitter, das sich über dem nahe gelegenen Fluss Lippe entlud,
habe „in den bombenzerrissenen Arbeiterkolonien“ der Umgebung den
Gedanken an ein Grubenunglück zunächst nicht nahegelegt, heißt es in dem
zeitgenössischen Bericht. „Und doch raste die Nachricht von der
Katastrophe in Windeseile durch die Straßen. Minuten später umklammerten
Frauen- und Kinderhände verzweifelt die kalten Eisenstäbe an den
Gittertoren von ,Grimberg‘. Es gab in Bergkamen und in den umliegenden
Orten kaum ein Haus, in dem man nicht einen Verwandten, Freund oder
Bekannten vermisste.“ Klara Neugebauer schickte ihren ältesten Sohn
Manfred zur Schachtanlage. Sie selbst hatte keine Kraft dazu. Die
offizielle Todesnachricht überbrachten ihr dann am 21.Februar
Werksangehörige. Es war ihr 37.Geburtstag.
In Bergkamen starben vor 70 Jahren mehr als 400 Kumpel sowie der
Werksdirektor und drei britische Offiziere der „North German Coal
Control“ (NGCC), die sich über einen neu entwickelten Kohlehobel
informieren wollten – „Kuckuck“ galt damals als eines der modernsten
Bergwerke der Welt. Über Tage verloren drei Kumpel ihr Leben. Es war das
schlimmste Unglück in der Geschichte des deutschen Steinkohlebergbaus.
Die
Rettungs- und Bergungsarbeiten fanden unter widrigsten Bedingungen
statt. Die alarmierten Grubenwehren von zwölf benachbarten Bergwerken
hatten große Schwierigkeiten, anzurücken. So kurz nach Kriegsende
fehlten Lastwagen, und die Straßen waren in erbärmlichem Zustand. Es
vergingen viele Stunden, bis Grubenwehrleute von einer benachbarten
Schachtanlage aus nach Grimberg III/IV gelangten.
Weil es wegen der ausgefallenen Belüftung immer wieder zu
Nachexplosionen kam, beschlossen die Verantwortlichen schon am 22.
Februar, die Aktion abzubrechen und die Verbindung zur Nachbarzeche mit
einem Damm zu verschließen, um den noch immer lodernden Flammen den
Sauerstoff zu nehmen. Bei einem letzten Kontrollgang trafen die
Grubenwehrmänner dann auf den Elektriker Emil Gröne, der davon
berichtete, dass im Batterie-Laderaum noch ein Verletzter liege.
Tatsächlich fanden die Retter am 23. Februar 1946 noch acht lebende
Männer. „Da machten auch wir uns wieder Hoffnungen, dass Vater doch noch
leben könnte“, erinnert sich Ernst Neugebauer.
Doch am 25. Februar 1946 wurde schließlich der endgültige Befehl zur
Abdämmung gegeben. Nur 64 Bergleute konnten gerettet und nur 18
Leichname geborgen werden. Mehr als 380 der Opfer blieben unter Tage.
Noch einmal ging Ernst Neugebauers älterer Bruder Manfred zur
Schachtanlage. „Die Angehörigen durften in die Waschkaue kommen und die
Haken herunterholen. Da hing ja noch die Kleidung der Kumpel, die unten
geblieben waren, und draußen in den Fahrradständern steckten noch ihre
Räder in Reih und Glied.“...
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...in Gänze lesenswert...
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