Glashütte Süßmuth, Immenhausen (Kassel)...11.2015...V.
Das Experiment Süßmuth
:
Die Hütte der Arbeiter
Können Lohnempfänger gleichzeitig Unternehmer spielen?
Von Heinz Michaels (zeit.de)
Es könnte ein Bild von Adolf von Menzel sein: spärlich
beleuchteter Kellerraum; Männer mit langen Eisenstangen holen glühend
zähe Masse aus einem Feuerloch; Schweißtropfen auf ihrer Stirn und der
Widerschein des Feuers; auf den Lippen Flüche.
„Das ist wirklich eine scheußliche Arbeit“, sagt Klaus Börner,
der Geschäftsführer der Firma. Es ist neun Uhr abends an einem Mittwoch.
Oben in der Glashütte herrscht Ruhe. Doch die Schmelzöfen für das Glas,
das am nächsten Tag verarbeitet werden soll, haben jetzt ihre höchste
Temperatur erreicht. Einmal in der Woche muß zu diesem Zeitpunkt die
Kammer unter dem Ofen geöffnet und jene Glasmasse herausgebrochen
werden, die bei der Arbeit der Glasmacher heruntergetropft ist wie die
Schlacke in einem Heizungskessel.
Bildquelle: WWW/unbekannt |
Die Männer am Feuerloch sind zumeist Hilfsarbeiter. Und sie sind
gleichzeitig Unternehmer, denn ihnen gehört diese Hütte, jedem
theoretisch der 255. Teil. Der Mann, der uns hier unten begrüßt und mit
Klaus Börner einige technische Fragen bespricht, sitzt zweimal im Monat
nach Feierabend in der Gesellschafterversammlung und fordert von
„seinem“ Geschäftsführer Bericht, wie die Geschäfte gehen.
Immenhausen, ein Städtchen mit viereinhalbtausend Einwohnern, fünfzehn Kilometer nordwestlich von Kassel,
hat vor zweieinhalb Jahren Schlagzeilen gemacht. Hier im Nordhessischen
war zum erstenmal in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein Betrieb,
dessen Eigentümer aufgeben mußte, von der Belegschaft übernommen und in
eigener Regie weitergeführt worden.
Damals, am 17. März 1970, hatte Richard Süßmuth auf einer
Belegschaftsversammlung gesagt: „Ich gebe dieses Werk, meine geliebte
Glashütte, in die Hände meiner Mitarbeiter.“ Er gab ihnen ein „Glückauf“
mit auf den Weg und setzte hinzu: „In Gottes Namen.“
Bildquelle: WWW/unbekannt |
Es waren bewegte Tage gewesen für Immenhausen, als die damals
270 Belegschaftsmitglieder um ihre Arbeitsplätze in der Hütte bangten.
Richard Süßmuth war am Ende. Seit Jahren arbeitete die Glashütte mit
Verlust; das Eigenkapital von 600 000 Mark war fast aufgezehrt. Es sah
so aus, als sollten die Feuer unter den Glasschmelzöfen zum drittenmal
erlöschen – und dieses Mal wohl endgültig.
Das erste Mal erloschen sie Ende der zwanziger Jahre mit dem
Ausbruch der Weltwirtschaftskrise. Die 1898 von dem Freiherrn von
Buttlar-Lamprecht gegründete Glashütte mußte Konkurs anmelden. Mitte der
dreißiger Jahre versuchten die Nationalsozialisten, den Betrieb wieder
in Gang zu bringen; doch das Unternehmen schlug fehl, ganze sechs Monate
war die Hütte damals in Betrieb.
1946 tauchte dann Richard Süßmuth in Immenhausen auf. Süßmuth
hatte von 1924 bis 1944 im schlesischen Penzing eine Glashütte
betrieben, die sich bei Kennern des Kunstglases einen internationalen
Ruf erworben hatte. Im Flüchtlingstreck rettete sich der Fabrikant mit
der Stammmannschaft seiner Glasmacher in den Westen...
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...Fortsetzung von Teil IV. der aktuellen Bilderserie 11.2015...
...Fortsetzung folgt...
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